Man möchte meinen, Mainz und seine Umgebung singt und lacht bei Tag und Nacht. Dem ist zwar oft so, aber beileibe nicht immer. Die Husumer Ruhe ist dahin, das Treiben einer belebten Studentenstadt inkl. proppevoller Samstagvormittagsinnenstadt hat uns wieder. So weht uns nun zwar kein rauer Wind mehr entgegen, dennoch aber stehen wir auch im geselligen Mainz, der Heimat des Buchdrucks und dem Mekka der Fleischwurstliebhaber (für den geneigten österreichischen Leser: Fleischwurst = geschmacklich und innerlich optisch wie Extrawurst, äußerlich optisch...man überzeuge sich selbst...) vor einigen alltäglichen Herausforderungen. Eine bzw. mehrere davon trugen sich gestern zu.
Mein liebster Hesse aller Hessen und ich auf dem Weg in den
Rheingau. Eine beschauliche, schöne Feiertagsaufgabe, denken wir, denn auf dem Weg nach Wiesbaden gestaltet sich der Zug auf erfreuliche Weise leer. Kaum jedoch im eigentlichen Wagen Richtung Rheingau angekommen, werden wir eines besseren belehrt: Wie gewöhnlich präsentiert sich der Zug zweiwaggonig, obwohl die Anzahl der Fahrgäste locker auch vier Waggons hätte füllen können. Wir bahnen uns durch Wanderer aller Altersklassen mit Ausrüstungen unterschiedlichster Qualitätsgüte - von weißen Sandalen bis Multifunktionsoverall ist alles dabei - und atmen erleichtert auf, als wir einen Sitzplatz finden. Gegenüber von uns eine sympathische Dame mittleren Alters. "Das ist ja nochmal gut gegangen", denken wir erleichtert.
Gemütlich lehnen wir uns zurück, mein liebster Hesse aller Hessen mit Apfelspielzeug, ich mit Hörbuch und tuckeln durch die beschauliche Landschaft, als wir plötzlich jäh aus unserem Feiertagshalbschlaf gerissen werden. 50cm hinter uns beginnt plötzlich eine fahrende Boygroup lautstark zu musizieren - so laut, dass ich nicht einmal mehr mitbekomme, dass ich mir eigentlich gerade ein Hörbuch zur Gemüte führe. Damit nicht genug: Die Jungs werden nicht nur laut, sondern klappern den Waggon mit ihrer mobilen Geldbörse ab. Als sie bei uns vorbeiziehen, raunt mir die sympathische Dame zu: "Für's Aufhören würde ich ihnen mit Sicherheit etwas zustecken!" Ich muss trotz der ungewollten Beschallung seitens der fahrenden Boygroup schmunzeln. Als diese sich entfernt, scheint wieder Harmonie im Zuge zu sein.
Kaum fünf Minuten später löst sich diese zart gehegte Hoffnung allerdings in Luft auf, als eine Horde Junggesellenabschiedler mit T-shirts, die am Niveau der Organisatoren zweifeln lassen, polternd den Waggon entlangschwankt. Nach dem fünften "Es gibt keine häßlichen Frauen, nur zu wenig Alkohol" zur Schau tragenden werden meine Augen müde. Im Stillen hoffe ich, dass meinem Zukünftigen so ein Spruch bei seinem Polterabend nicht zugemutet wird und springe an unserem Zielbahnhof ungeduldig aus dem Zug. Im Grunde sollte die beschauliche Umgebung
Rüdesheims, ein Wunder der Natur, auf uns warten. Doch statt dessen drängt sich mir Benzingestank und Motorenlärm in Nase und Ohr, denn Rüdesheim ist dieser Tage Treffpunkt unzähliger Motorradfans: Harley Davidsons et al wohin das Auge reicht - "Und das im Zeitalter der drohenden Ressourcenknappheit", denke ich mir. Aber ich will den Energieapostel jetzt nicht raushängen lassen und so halte ich mich mehr oder weniger mit kritischen Äußerungen zurück.
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Nach einem beschaulichen Nachmittag bei den Schwiegereltern in Spe erwartet uns abermals der Gang zum Zug. Na ja, kann ja schlimmer nicht werden, meinen wir - und behalten Recht. Bis auf die Tatsache, dass die Bahn Verspätung hat, bleiben wir diesmal von unliebsamen Zwischenfällen verschont. Dennoch nutzt mein liebster Hesse aller Hessen, normalerweise energiebewußt und sparsam, die Gelegenheit, um mir ein weiteres Argument pro Auto vor Augen zu führen, nämlich, dass wir, hätten wir ein solches, in derlei Bedrängnisse gar nicht kämen. Meine Einwände könnten mannigfaltiger gar nicht sein: ewige Parkplatzsuche, Mainzer Parktickets, Staus auf allen Wegen, CO2-Bilanz, Luxus...Ich seufze resigniert, denn ich muss feststellen: Ein moralisch "guter" Mensch zu sein ist manchmal mit einigen Kompromissen verbunden. Die Frage nach der "besseren" Alternative kann sich in diesem Fall ja gar nicht stellen. Deshalb: Fleischwurst drüber und weitermachen!